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Neue Leitlinien für die Komplementärmedizin – ein fundierter Wegweiser für ÄrztInnen und PatientInnen

Am 11. und 12.2.22 fanden zum 14. Mal sehr erfolgreich die TZM-Essentials statt. Der TZM-Jahreskongress für ÄrztInnen dient der kompakten Vermittlung von praxisrelevantem onkologischem und hämatologischem Wissen. Zum ersten Mal war nun auch ein interdisziplinärer Themenblock dabei, der sehr interessante Vorträge z.B. über „KrebspatientInnen auf der Intensivstation“ und „Krebstherapie während der Covid-Pandemie“ beinhaltete.

Auch in diesem Themenblock vertreten, da immer wieder sehr gefragt, war das Fachgebiet Komplementärmedizin/Naturheilkunde. Den entsprechenden Vortrag übernahm Herr Doerfler von der Beratungsstelle für Komplementärmedizin am Tumorzentrum München. Herr Doerfler ist Arzt für Naturheilverfahren und Facharzt für Neurologie. Er leitet seit Jahren sehr erfolgreich die Beratungsstelle für Komplementärmedizin.

Entwicklung komplementärmedizinischer Therapien

Naturheilkunde_Krebs

Die Anwendung von komplementärmedizinisch-naturheilkundlichen Therapien ist aus der Onkologie nicht mehr wegzudenken oder wegzuwünschen. Therapieverfahren dieser Art werden in der Tat von der Mehrzahl von TumorpatientInnen ausdrücklich gewünscht. [1]

Die Wirksamkeit der Komplementärmedizin, speziell in der Onkologie, wurde lange Zeit nur durch Erfahrungsberichte und tradierten Überlieferungen bestätigt. In den letzten Jahren jedoch entstand dank neu publizierter internationaler und nationaler wissenschaftlicher Leitlinien ein Annäherungsprozess zwischen Vertretern der onkologischen „Haupttherapien“ und den komplementärmedizinischen „Nebentherapien“.

Ihren bisherigen Höhepunkt findet diese Entwicklung in der 2021 veröffentlichten deutschen S3-Leitlinie zur Komplementärmedizin. Sie erleichtert nicht nur ÄrztInnen einen Überblick auf sinnvolle, mögliche oder nicht zu empfehlende komplementärmedizinische Therapieverfahren, sondern ist auch hilfreich für PatientInnen (für die es bald eine eigene Patientenleitlinie geben wird), um fundierte Entscheidungen zu treffen und mit ihren behandelnden ÄrztInnen informiert kommunizieren zu können. Daher möchten wir diese Leitlinie [2] heute kurz vorstellen. Sehr hilfreich dabei ist, dass die Leitlinie in naher Zukunft auch als Patientenleitlinie veröffentlicht wird, und damit auch für Laien leichter verständlich wird.

Komplementäre vs. alternative Therapieverfahren

Zunächst muss strikt zwischen komplementären und alternativen Therapieverfahren unterschieden werden. Komplementär bedeutet nichts Anderes als ergänzend. Meist handelt es sich um natürliche und naturnahe Verfahren, die neben der konventionellen Tumortherapie angewendet werden können.

Komplementärmedizin_Krebs

Sie dienen in erster Linie der Unterstützung der Lebensqualität, indem sie beispielsweise Nebenwirkungen einer Systemtherapie abschwächen können, in zweiter Linie der Rezidivprophylaxe [3] und in dritter Linie der Unterstützung der Primärtherapie etwa im Sinne von eventuellen Chemo-oder Radiosensitizer-Eigenschaften [4, 5]. Mit Sensitizer-Eigenschaften sind Methoden gemeint, die eine Sensibilisierung des Körpers bewirken und so die Wirkung der Therapie steigern.

Ein ganz anderes Thema, von dem wir uns abgrenzen wollen, sind so genannte alternativmedizinische Ansätze, bei denen ohne verlässliche, auf wissenschaftlichen Daten basierende, naturheilkundliche Maßnahmen anstelle der konventionellen, tumorbekämpfenden Therapie zur Anwendung kommen. Onkologische PatientInnen, die zu solchen alternativmedizinischen Ansätzen tendieren, sollten davor gewarnt und auf entsprechende Risiken hingewiesen werden.

Die neue S3-Leitlinie

Die neue Leitlinie ist in ihrer Endfassung seit Juli 2021 online zugänglich [2]. Sie beschreibt umfänglich die Evidenz von komplementären Therapien, wie sie im onkologischen Setting in Deutschland am häufigsten zur Anwendung kommen. Die Leitlinie wurde unter Federführung der Deutschen Krebsgesellschaft (DKG), der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie (DGHO), der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) und der Deutschen Gesellschaft für Radioonkologie (DEGRO) verfasst. Sie wird laufend aktualisiert. In der aktuellen Version der Leitlinie wurden bisher 155 Empfehlungen bzw. Statements formuliert.

Die Empfehlungen/Statements

In der Leitlinie werden tabellarisch Empfehlungen zu komplementären Verfahren und Methoden aufgeführt. Diese helfen sowohl ÄrztInnen als auch PatientInnen, einen ersten Überblick zu Positiv- und Negativempfehlungen zu gewinnen.

Da hilfesuchende PatientInnen im klinischen Alltag meist mit Symptomen oder Beschwerden vorstellig werden und weniger mit konkreten Anfragen zu einzelnen Verfahren, zeigen die Tabellen (s. Datei zum Herunterladen unten), angelehnt an die Leitlinie, eine kleine Auswahl der relevantesten Empfehlungen.

Folgende drei Fragen helfen bei der Interpretation der Tabellen:

  1. Was ist sinnvoll (analog zur Empfehlungsstärke „soll“ und „sollte“ in der Leitlinie)?
  2. Was ist akzeptabel bzw. möglich (analog zur Empfehlungsstärke „kann“ in der Leitlinie)?
  3. Was geht gar nicht (analog zur Empfehlungsstärke „soll nicht“ und „sollte nicht“ in der Leitlinie)?

Fazit

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Die Komplementärmedizin in der Onkologie hat im Laufe der vergangenen Jahre ihre Nischenposition verlassen. Insbesondere die neue „S3-Leitlinie Komplementärmedizin in der Behandlung von onkologischen PatientInnen“ erleichtert den Zugang und die Einschätzung zu Chancen und Risiken von entsprechenden Ansätzen bei TumorpatientInnen.

Jenseits leitlinienkonformer komplementärer Therapien haben weiterhin erfahrungsmedizinische Therapieansätze wie die Traditionelle Chinesische Medizin (TCM) ihre Berechtigung, solange sie in verantwortungsvoller ärztlicher Hand liegen.

Onkologische PatientInnen sollten frühzeitig und offen auf unterstützende, komplementärmedizinische Optionen angesprochen sowie über mögliche Risiken wie Wechselwirkungen mit den Krebsmedikamenten aufgeklärt werden.

Das Tumorzentrum München steht sowohl für eine unabhängige Beratung von Betroffenen wie auch dem kollegialen Austausch zu komplementären und naturheilkundlichen Therapieverfahren zur Verfügung.

Der komplette Beitrag von Wolfgang Doerfler bei den TZM Essentials 2022 ist dokumentiert im Jahrbuch des Tumorzentrums München 2022, herausgegeben von Stephanie Combs und Volkmar Nüssler, erschienen im LUKON Verlag München. Printwerk: 34,90 Euro, E-Book: 19,90 Euro, https://www.lukon.de/produkt/tumorzentrum-muenchen-jahrbuch-2022-e-book/ .

Lesen Sie zu diesem Thema auch unseren Blogartikel „Was kann die Naturheilkunde und wo sind ihre Grenzen?“.

Quellen:

  1. Huebner J, Micke O, Muecke R et al. User rate of complementary and alternative medicine (CAM) of patients visiting a counseling facility for CAM of a German comprehensive cancer center. Anticancer Res 2014; 34: 943-948.
  2. Leitlinienprogramm Onkologie der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V. (AWMF), Deutschen Krebsgesellschaft e.V. (DKG), Deutschen Krebshilfe (DKH). S3-Leitlinie Komplementärmedizin in der Behandlung onkologischer PatientInnen. In AWMF Registernummer: 032/055OL. 2021.
  3. Liu JM, Lin PH, Hsu RJ et al. Complementary traditional Chinese medicine therapy improves survival in patients with metastatic prostate cancer. Medicine (Baltimore) 2016; 95: e4475.
  4. Gong L, Zhang Y, Liu C et al. Application of Radiosensitizers in Cancer Radiotherapy. International journal of nanomedicine 2021; 16: 1083-1102.
  5. Tan BL, Norhaizan ME. Curcumin Combination Chemotherapy: The Implication and Efficacy in Cancer. Molecules 2019; 24.

Wolfgang Doerfler

Über Wolfgang Doerfler

Wolfgang Doerfler leitet die Beratungsstelle für Komplementärmedizin und Naturheilkunde am Tumorzentrum München. Er verfasst Blogbeiträge zum Thema wissenschaftlich basierte Naturheilkunde und Lebensstil-Medizin.

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