Wie Ernährung unser Denken beeinflusst

Gerade in einer so heiklen Zeit wie dieser ist neben körperlicher Gesundheit auch die psychische Stabilität äußerst wichtig. Denn Corona fordert uns auch auf seelischer Ebene: ein Treffen mit Freunden ist nur mit Einschränkungen möglich, kulturelle und andere bereichernde Veranstaltungen wie Theater, Konzerte, Messen, Festivals und Volksfeste sind abgesagt, von entspannenden Fitnessstudio- oder Sauna-Besuchen ganz zu schweigen. Das bedeutet Verzicht auf vieles von dem, was wesentlich zur Lebensfreude beiträgt. Vor allem Krebspatienten müssen sich aufgrund ihres geschwächten Immunsystems besonders gut überlegen, wie viel Kontakt sie mit ihren Mitmenschen haben möchten.

Da man sich jetzt besonders um das psychische Wohlbefinden kümmern sollte, wollen wir Ihnen heute erläutern, welche Rolle gesunde Ernährung in diesem Zusammenhang spielen kann. Eine positive Ernährungsweise hält nämlich Körper UND Seele gesund [1].

Gesunde Ernährung sorgt für psychische Stabilität

Professor Dr. Michael Macht vom Institut für Psychologie der Universität Würzburg stellte 2006 fest: „Emotionen und Essverhalten sind stark verknüpft“ [2]. Wahrscheinlich kennt jeder von uns das Phänomen des „Stress-Essens“: Etwa ein Viertel bis ein Drittel der Bevölkerung isst in anstrengenden Phasen wie etwa unter Prüfungsstress mehr als in entspannten Zeiten [2,3].

Neben den Auswirkungen von Emotionen auf das Essverhalten gibt es mittlerweile deutliche Hinweise darauf, dass der Effekt auch in die andere Richtung funktioniert: Ernährung beeinflusst unsere Gefühlswelt und unser Denken. Schon der Vorgang des Essens an sich, wissenschaftlich gesehen die Zufuhr von Energiesubstraten, hat eine beruhigende Wirkung auf uns. Er führt zu „Entspannung und Stimmungsaufhellung“ [2]. Umgekehrt bewirkt „eine verminderte Energiezufuhr psychische Veränderungen wie Reizbarkeit oder Aggressivität“, so Macht bei einer Tagung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) [2].

Die Ernährung scheint unsere Gefühle auf vielfältige Weise zu beeinflussen, die genauen Mechanismen dieser Wechselwirkung sind allerdings noch weitgehend unerforscht. Einer spannenden Theorie zufolge können die Bakterien in unserem Darm unser Denken beeinflussen [4]. Die Darmbakterien, auch Mikrobiota genannt, werden wiederum durch unsere Ernährung entscheidend geprägt [5].

2011 wurde bei Experimenten mit Mäusen beobachtet, dass die Verabreichung probiotischer Bakterien, wie sie etwa in Joghurt vorkommen, in Stresssituationen zu einem gelasseneren Verhalten und einem reduzierten Stresspegel im Blut führte [6]. Auch Ratten reagierten auf eine Veränderung der Darmbakterien [7]. Ihnen wurde Futter mit resistenter Stärke verabreicht, einem Ballaststoff, der ähnlich positive Auswirkungen auf die Mikrobiota hat wie Probiotika. Die Nager zeigten nach der „Diät“ eine verbesserte Motorik und eine verbesserte Erfassung der Zuckerspiegel im Gehirn. Mittlerweile geht man aufgrund der Laborversuche davon aus, dass die Darmmikrobiota einen Einfluss auf jene Verhaltensformen hat, die mit Schmerz, Gefühlen, sozialer Interaktion und Essensaufnahme assoziiert sind [4].

Auch erste Daten vom Menschen gibt es inzwischen. So konnte man bei Studienteilnehmern, denen probiotische Bakterien verabreicht wurden, Auswirkungen in ihren Gehirnen insbesondere in den Arealen der Gefühls- und Schmerzverarbeitung beobachten [8]. Studienteilnehmer, deren Ernährungsweise reich an frischem Gemüse und Obst war, gaben an, sich glücklicher und wohler zu fühlen und waren mental gesünder [9–11].

Doch Studien am Menschen sind rar und zeigen lediglich, dass es eine Beziehung zwischen der Ernährung und dem Verhalten bzw. dem Wohlbefinden gibt, nicht jedoch, wie diese genau funktioniert [1,4]. Neben den Darmbakterien können beispielsweise auch Nährstoffe, Giftstoffe und mechanische Reize (zum Beispiel die Ausdehnung der Darmwand aufgrund der Nahrung) Signale auslösen, die in unser Gehirn weitergeleitet werden [12].

Fazit

Obwohl die Forschung auf diesem Gebiet noch am Anfang steht, zeigt sich schon jetzt, dass der Verdauungstrakt einen erheblichen Einfluss auf unser Denken hat. Darm und Gehirn sind durch unser Nervensystem hochkomplex verbunden. Da der Darm selbst mit so vielen Nervenzellen ausgestattet ist, wird er mitunter auch als „zweites Gehirn“ bezeichnet. Ohne dass es uns bewusst ist, werden permanent Informationen vom Verdauungstrakt an das Gehirn geliefert.

So erklärt sich auch der einfache Umstand, dass Hungergefühl nicht nur Magenknurren verursacht, sondern mitunter schlicht und ergreifend schlechte Laune.

Die Mikrobiota – ein Lieblingsthema der neuesten Ernährungs-Spitzenforschung – produziert Botenstoffe, sogenannte Metaboliten, deren sehr präzise Signale die Aktivität unseres Immunsystems oder unserer Stimmungen, wie z.B. das Schlafbedürfnis oder das Schmerzempfinden, beeinflussen.

Mit anderen Worten: Was wir fühlen, hängt unter Umständen von der Zusammensetzung unserer Mikrobiota ab, und diese wiederum von dem, was wir essen und trinken.

Es ist keine spezielle Ernährung wie „vegan“, „Paleo“ oder Rohkost nötig. Die Grundlage bildet eine gesunde Ernährung, wie wir sie in der Beratungsstelle für Ernährung empfehlen: jeden Tag Gemüse und Obst essen, genug trinken (1,5-2 l), wenig raffinierte Kohlenhydrate und stattdessen lieber ausreichend Vollkornprodukte, gesunde Fette und Eiweiße zu sich nehmen. Wird eine solche Ernährungsweise mit einem sinnvollen Maß an Bewegung (mindestens 30 Minuten am Tag) kombiniert, stabilisiert das die Psyche. Negative Emotionen wie Angst, Wut oder Traurigkeit sind dann weniger häufig oder weniger stark ausgeprägt. Dies ist in schwierigen Lebensabschnitten wie zum Beispiel während einer Krebserkrankung (aber auch einer Pandemie) sehr hilfreich.

Quellen

  1. Adan RAH, van der Beek EM, Buitelaar JK, et al. Nutritional psychiatry: Towards improving mental health by what you eat. European Neuropsychopharmacology 2019;29:1321–32.
  2. Hohmann C. Ernährung – Essen und Emotionen. Pharmazeutische Zeitung 2006.
  3. Techniker Krankenkasse. „Iss was, Deutsch­land.“ – TK-Ernäh­rungs­studie 2017. https://www.tk.de/techniker/unternehmensseiten/unternehmen/broschueren-und-mehr/ernaehrungsstudie-2017-2026688.
  4. Martin CR, Mayer EA. Gut-Brain Axis and Behavior. Nestle Nutr Inst Workshop Ser 2017;88:45–53.
  5. Xu Z, Knight R. Dietary effects on human gut microbiome diversity. Br J Nutr 2015;113 Suppl:S1-5.
  6. Bravo JA, Forsythe P, Chew MV, et al. Ingestion of Lactobacillus strain regulates emotional behavior and central GABA receptor expression in a mouse via the vagus nerve. Proc Natl Acad Sci U S A 2011;108:16050–5.
  7. Zhou J, Keenan MJ, Fernandez-Kim SO, et al. Dietary resistant starch improves selected brain and behavioral functions in adult and aged rodents. Mol Nutr Food Res 2013;57:2071–4.
  8. Tillisch K, Labus J, Kilpatrick L, et al. Consumption of fermented milk product with probiotic modulates brain activity. Gastroenterology 2013;144:1394-401, 1401.e1-4.
  9. Emerson SD, Carbert NS. An apple a day: Protective associations between nutrition and the mental health of immigrants in Canada. Social Psychiatry and Psychiatric Epidemiology 2019;54:567–78.
  10. Fresán U, Bes-Rastrollo M, Segovia-Siapco G, et al. Does the MIND diet decrease depression risk? A comparison with Mediterranean diet in the SUN cohort. European Journal of Nutrition 2019;58:1271–82.
  11. Moreno-Agostino D, Caballero FF, Martín-María N, et al. Mediterranean diet and wellbeing: evidence from a nationwide survey. Psychology & Health 2019;34:321–35.
  12. Mayer EA. Gut feelings: the emerging biology of gut-brain communication. Nat Rev Neurosci 2011;12:453–66.
Eva Kerschbaum

Über Eva Kerschbaum

Eva Kerschbaum studierte Ernährungswissenschaft an der TU München und ist zertifizierte Ernährungsberaterin der Deutschen Gesellschaft für Ernährung. ...

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