Myrrhe: Ist die Gabe der Heiligen Drei Könige auch heute noch ein Geschenk für Patienten?

Insbesondere in der Vorweihnachtszeit werden beim Wort Myrrhe sofort Assoziationen mit der Krippe geweckt. In Vorwissen der zukünftigen „Karriere“ des Jesuskindes war Myrrhe neben Gold und Weihrauch (siehe auch früherer Blogbeitrag) eine der Gaben der drei Weisen zur Ehrung dieser sehr ungewöhnlichen Geburt (Matthäus 2:11).

Myrrhe hatte zur damaligen Zeit einen hohen Stellenwert, vor allem als Bestandteil priesterlichen Salböls im Rahmen des alttestamentarischen jüdisch-religiösen Brauchtums (2. Moses 30:23-38).

Aber auch aus medizinischer Sicht verdient die Myrrhe, etwas genauer betrachtetzu werden.  

Myrrhe in der Naturheilkunde

Dass Myrrhe zu biblischen Zeiten auch medizinisch schon eine Rolle gespielt hat, ist aus Aufzeichnungen in der „Materia Medica“ des griechischen Arztes Dioskurides (um 60 n. Chr.) zu entnehmen: er schreibt dort, dass Myrrhe unter anderem bei chronischem Husten, Heiserkeit, Mundgeruch, Entzündungen und Schwund des Zahnfleisches, gegen Darmwürmer sowie gegen starken Durchfall und Nierenleiden helfe (1).

Im Europa des 19. und 20. Jahrhundert bis in die heutige Zeit hat sich die Verwendung von Myrrhe in der Volksmedizin immer mehr auf den Anwendungsbereich „Magen-Darm-Funktion“ konzentriert. Insbesondere hat sie sich bei der Stärkung der Darmbarriere (2) und der Linderung von Darmkrämpfen (3) bewährt. In Kombination mit anderen Arzneipflanzen wird Myrrhe auch bei Vorliegen chronisch entzündlicher Darmerkrankungen (4) und bei Reizdarm, besonders mit Durchfallneigung, eingesetzt (1).

Aktuellere Laboruntersuchungen bestätigen entzündungshemmende Eigenschaften der Myrrhe (5, 6), die zumeist in Tablettenform angeboten wird.

Myrrhe in der Onkologie

Die Myrrhe hat sich in der modernen Tumorbegleittherapie noch nicht behauptet. Obwohl aus Laborversuchen mittlerweile ihre potentiell krebszellhemmenden Eigenschaften bekannt sind (getestet an Prostata-, Brust-, Dickdarm-, Gebärmutterhals- und Gehirntumorzellen) (5), ist von der Einnahme im Sinne einer „grünen Chemotherapie“ abzuraten: Studien, die eine unmittelbar tumorwachstumshemmende Wirkung an Patienten beweisen, stehen noch aus.
Zur Linderung von Mundschleimhautreizungen hingegen können myrrhehaltige Hautpflegeprodukte durchaus unterstützend wirken (7, 8).
Darüber hinaus könnte Myrrhe möglicherweise die Schmerzen einer durch Chemotherapie verursachten Polyneuropathie (CIPN) lindern. Dieser sehr wünschenswerte Effekt ist allerdings vorerst nur bei Patienten mit einer durch Diabetes mellitus hervorgerufenen Nervenschädigung aufgezeigt worden (9).

Spricht etwas gegen die Anwendung von Myrrhe in der Medizin?

Bei bestimmungsgemäßem Gebrauch sind unerwünschte Nebenwirkungen eher selten. Patienten mit sehr empfindlicher Haut reagieren manchmal mit Entzündungen auf äußerlich angewendete Myrrhe (10).  Die Einnahme von Myrrhepräparaten kann möglicherweise dem angestrebten blutverdünnenden Effekt von Warfarin entgegenwirken (11).


Fazit und Aussicht

Im Rahmen einer Tumorerkrankung kann bei Vorliegen einer chemo- oder bestrahlungsbedingten Mundschleimhautentzündung oder bei gleichzeitigem Vorkommen von Magen-Darmerkrankungen der Einsatz von Myrrhepräparaten erwogen werden.
Der Nachweis, ob Myrrhe beim Menschen auch direkt tumorzellhemmend wirkt, steht noch aus. Vor einer Verwendung von Myrrhe im Rahmen einer onkologischen Therapie sollte eine kompetente Beratung eingeholt werden. Insbesondere, um mögliche Wechselwirkungen mit der Tumortherapie auszuschließen.

 
Quellen:
[1] Mayer, Johannes. (2015). Myrrhe. Zeitschrift für Phytotherapie. 36. 103-105.10.1055/s-0041-103048. Available: https://www.researchgate.net/publication/282463298_Myrrhe
[2] R. Rosenthal, J. Luettig, N.A. Hering, S.M.Krug, U. Albrecht, M. Fromm, J.D. Schulzke: Myrrh exerts barrier stabilising and protective effects in HT-29/B6 andCaco-2 intestinal epithelial cells. In: Int J Colorectal Dis, 2016
[3] Vissiennon C, Goos KH, Goos O, Nieber K. Calcium antagonistische Wirkungen von ethanolischem Myrrheextrakt an entzündeten Dünndarmpräparaten der Ratte [Poster]. Leipzig: Phytokongress 2013. Z Phytother 2013; 34 (Suppl. 1): S32
[4] A. J. Fatani u. a. Myrrh attenuates oxidative and inflammatory processes in acetic acid-induced ulcerative colitis. In: Experimental and therapeutic medicine. 12, 2016, 730-738
[5] Mallavadhani UV et al, Design, synthesis, anti-inflammatory, cytotoxic and cell based studies of some novelside chain analogues of myrrhanones A & B isolated from the gum resin of Commiphora mukul. Bioorg Chem. 2018 Oct 23;82:306-323. doi: 10.1016/j.bioorg.2018.10.039.
[6] Tipton DA, Lyle B, Babich H, Dabbous MKh. In vitro cytotoxic and anti-inflammatory effects of myrrh oil on human gingival fibroblasts and epithelial cells. Toxicol In Vitro. 2003 Jun;17(3):301-10.
[7] Al-Mobeeriek A, Effects of myrrh on intra-oral mucosal wounds compared with tetracycline and chlorhexidine-based mouthwashes. Clin Cosmet Investig Dent. 2011 Aug 30;3:53-8. doi: 10.2147/CCIDEN.S24064. Print 2011
[8] Mansour G, Clinical efficacy of new aloe vera- and myrrh-based oral muco adhesive gels in the management of minor recurrent aphthous stomatitis: a randomized, double-blind, vehicle-controlled study. J Oral Pathol Med. 2014 Jul;43(6):405-9. doi: 10.1111/jop.12130. Epub 2013 Oct 25.
[9] Semprini R et al.Observational clinical and nerve conduction study on effects of a nutraceutical combination on painful diabetic distal symmetric sensory-motor neuropathy in patients with diabetes type 1 and type 2. Minerva Med. 2018 Oct;109(5):358-362. doi: 10.23736/S0026-4806.18.05710-5. 
[10] Lee TY, Lam TH. Allergic contact dermatitis due to a Chinese orthopaedic solution tieh ta yao gin. Contact Dermatitis 1993; 28:89-90.
[11] Al Faraj S. Antagonism of the anticoagulant effect of warfarin caused by the use of Commiphora molmol as a herbal medication: a case report. Ann Trop Med Parasitol. 2005 Mar; 99(2):219-20.

Wolfgang Doerfler

Über Wolfgang Doerfler

Wolfgang Doerfler leitet die Beratungsstelle für Komplementärmedizin und Naturheilkunde am Tumorzentrum München. Er verfasst Blogbeiträge zum Thema wissenschaftlich basierte Naturheilkunde und Lebensstil-Medizin.

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