Frau mit Kopftuch

Krebs kennt kein Alter – Erlebenswelt und Gestaltungsmöglichkeiten

Wenn wir ehrlich sind, passt der Zeitpunkt für eine Krebsdiagnose nie, denn sie stellt das bisherige Lebenskonzept vollkommen auf den Kopf. Als junger Mensch an Krebs zu erkranken, kann ein besonders heftiger Einschnitt im Leben sein. Dem Bayerischen Krebsregister zufolge erkranken bayernweit jährlich 2600 junge Menschen zwischen 18 und 39 Jahren neu an Krebs [1].

Die Bewältigung einer Krebserkrankung ist körperlich und psychisch unterschiedlich, denn der Körper erholt sich in jungen Jahren oftmals zügig, während die psychischen Herausforderungen und Narben dafür oftmals umso größer sind. Auch wir in der Krebsberatungsstelle haben in den letzten Monaten vermehrt Anfragen von jüngeren Menschen mit einer Krebserkrankung erhalten und möchten daher in diesem Blogartikel einen Blick auf diese Zielgruppe und deren Lebenswelt bzw. Bedürfnisse richten.

Startschuss in die Unabhängigkeit…

Junger Mensch

Nach dem 1. Bildungsweg, das Abschlusszeugnis frisch in Händen, ist ein junger Mensch normalerweise bereit für den Start ins Erwachsenenleben. Die Welt liegt einem gefühlt gerade zu Füßen und die Wahlmöglichkeiten sind riesig. Typische Aufgaben und Anforderungen, sogenannte Entwicklungsaufgaben, die in den Lebensabschnitt der Jugend und des frühen Erwachsenenalters also zwischen 20 & 30 Jahren anfallen, sind zum Beispiel die Identitätsfindung, die Ablösung vom Elternhaus und der Aufbau eines eigenständigen, unabhängigen Lebens [2]. Es stehen Entscheidungen beruflicher wie privater Natur an, die einen oftmals herausfordern, aber ja auch mit freudvollen Erfahrungen einhergehen, gerade wenn sich selbst gesteckte Ziele verwirklichen lassen. Junge Erwachsene sind in einem Prozess der stetigen Anpassung. Für deren persönliche Weiterentwicklung sind Probleme und gewisse kritische Lebensereignisse sogar wichtig, um durch eine erfolgreiche Bewältigung daran wachsen zu können und im Leben vorwärts zu kommen [3].

…und dann Krebs

Diagnose Krebs

Die Diagnose Krebs bedeutet jedoch eine Vollbremsung im Prozess der Selbstfindung und stellt einen enormen Stressor dar. Kaum ein Mensch ist so krisenerprobt, dass ihn diese Diagnose nicht aus der Bahn wirft. Im Leben plötzlich mit Themen wie Krebstherapie und der eigenen Sterblichkeit konfrontiert zu sein, bringt die Grundfeste ins Wanken. Bei jungen Menschen kommt dies zu einem Zeitpunkt, an dem berufliche und/ oder familiäre Grundsteine oftmals noch nicht gelegt oder gefestigt sind.

Es kann zum Beispiel sein, dass Betroffene aufgrund der Erkrankung und Therapie beruflichen Aufgaben nicht mehr gerecht werden können oder der Kinderwunsch erstmal auf Eis gelegt werden muss. Nicht außer Acht zu lassen, ist insbesondere die finanzielle Situation, die schnell dazu führen kann, dass der Lebensunterhalt nicht mehr bestritten werden kann. Zum Beispiel bei Studierenden, deren BAföG-Anspruch durch eine längere Erkrankung ruht. Familiärer bzw. sozialer Rückhalt ist dann oft sehr wichtig. Es stellt jedoch auch einen Rückschritt dar, wenn erwachsene Kinder wieder ins Elternhaus einziehen müssen. Eine enorme Herausforderung für den Loslösungsprozess und den Schritt in die Autonomie [4].

Parallelwelt Krebs

Schmerzhaft ist oftmals der Vergleich mit Freunden, die nicht mit dieser Erkrankung konfrontiert sind und deren Leben alterstypisch voranschreitet. Während bei Freunden sich dann das Leben gefühlt schnell mit vielen positiven Entwicklungsschritten, wie Familienplanung, Karriereschritten, Hausbau, Verwirklichung von Zielen wie Marathon etc. füllt, fühlt sich das Leben eines jungen Menschen mit einer Krebsdiagnose und der weiteren Behandlung wie eine lange Pause in außenstehender Warteposition an. Krebsbetroffene fühlen sich oft in einer Art Parallelwelt. Ungeduld breitet sich aus. Gedanken kreisen häufig um die Frage „Wieso ich?“.

Frustrierend ist, dass sich der Behandlungsweg auch nicht aktiv beschleunigen lässt. Das darf Betroffene auch erstmal wütend machen. Manchmal haben Krebsbetroffene auch keine Lust die Entwicklungsschritte im Freundeskreis mitzuerleben und kapseln sich daher bewusst ab. Auch nach der überstandenen Behandlung ist das Leben geprägt von Anpassungsleistungen an die neuen Umstände und mögliche gesundheitliche Begleiterscheinungen. Der Wunsch ins frühere Leben zurückzukehren ist oftmals eine Weile präsent, bevor eine Such- und Neuorientierungsphase beginnt. Häufig wird uns auch berichtet, dass Betroffene vorsichtig darin sind, neue Pläne über die Zukunft zu schmieden, da die Angst davor groß ist, erneut aus dem Leben gerissen zu werden.

Was kann nun helfen?

Geduld aufbringen lohnt sich. Der Körper und vor allem die Psyche brauchen Zeit zur Krankheitsaufarbeitung und -verarbeitung. Es ist ein anstrengender Prozess, der viel Energie braucht. Gleichzeitig lohnt es sich auf diesen Prozess einzulassen und sich die Zeit zu schenken ganz nach dem Sprichwort „Das Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht.“ Versuchen Sie die Zeit für sich möglichst zu gestalten. Bleiben Sie neugierig, vielleicht können Sie ein Hobby aus Kindheitstagen wiederaufleben lassen oder gar ein neues Interesse entdecken. Häufig finden Betroffene auch Freude an kreativen Tätigkeiten und können erlebte Gefühle auf diese Art zum Ausdruck bringen.

Oftmals hilft es auch den Fokus bewusst auf die resiliente Seite zu richten und sich zu fragen „Was kann ich noch? In welchen Lebensbereichen erlebe ich mich als aktiven Gestalter meines Lebens?“ Bei Betroffenen, die sehr vorsichtig im Planen der Zukunft sind, kann es hilfreich sein, sich die durchaus optimistischen Daten zu vergegenwärtigen, dass 80 % aller Krebspatienten im Alter von 18 bis 39 Jahren geheilt werden können [5]. Ebenso ist Dankbarkeit ein mächtiges Werkzeug, um sich all der wertvollen Personen und Dinge im eigenen Leben bewusstzuwerden. Hierbei empfehlen wir gerne das Schreiben eines Dankbarkeitstagebuchs.

Betroffene

Auch wenn sich das Leben eines jungen Menschen mit einer Krebserkrankung gerade wie im Stillstand anfühlen mag, kann innerlich eine enorme Reifung stattfinden. Eine schwere Krankheit und Leiderfahrungen bieten Gelegenheit, sein Leben zu reflektieren und bewusst neu auszurichten. Indem sich Betroffene mit Fragen beschäftigen wie ‚was ist mir wichtig im Leben?‘ und ‚was sehe ich als meinen Sinn im Leben?‘ kann das Leben an Tiefe und Bewusstheit gewinnen. So berichten junge Krebspatienten auch, dass sie sich Veränderungen oder Erfahrungen erlaubt haben, die sie unter gesunden Umständen möglicherweise nicht wahrgenommen hätten.

Fazit

Gerade junge Menschen trifft eine Krebsdiagnose oftmals besonders heftig, da der Zeitpunkt extrem ungünstig ist. Die wenigsten rechnen in jungen Jahren mit dieser Diagnose. Dennoch: Krebs kennt kein Alter, Sie sind nicht allein. In diesem Blogartikel haben wir uns bewusst der Erlebenswelt betroffener junger Menschen mit einer Krebserkrankung gewidmet und konnten hoffentlich erste Impulse setzen, was Sie selber aktiv für sich tun können. Unser nächster Blogartikel beschäftigt sich erneut mit der Zielgruppe junge Menschen mit einer Krebserkrankung mit dem Fokus auf konkreten Unterstützungsangeboten von außen. Soviel vorweg: Es gibt mittlerweile einige Angebote für junge Menschen, die helfen können einen Weg im Umgang mit der Krebserkrankung zu finden.

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Krankheitsverarbeitung: Was tun, wenn die Seele hinterherhinkt? | Blog: Wissen gegen Krebs (tumorzentrum-muenchen.de)

[1] Krebsregister des Bayerischen Landesamts für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL). Abrufbar unter: https://www.lgl.bayern.de/gesundheit/krebsregister/auswertung_forschung/datenbank/index.htm. Letzter Zugriff am: 26.06.2024.

[2] Havighurst, R. J. (1948/1982). Developmental tasks and education. New York: McKay.

[3] Filipp, S.-H. (1995b). Lebensereignisforschung – eine Bilanz. In S.-H. Filipp (Hrsg.), Kritische Lebensereignisse (3.Aufl., S.293-326). Weinheim: Psychologie Verlags Union.

[4] Ärzteblatt: Junge Erwachsene mit Krebserkrankungen: Voll im Leben und schon ausgebremst. Abrufbar unter: https://www.aerzteblatt.de/archiv/174862/Junge-Erwachsene-mit-Krebserkrankungen-Voll-im-Leben-und-schon-ausgebremst. Letzter Zugriff am: 26.06.2024.

[5] Projekt der Deutschen Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs: „Jung & Krebs – Erste Hilfe – Tipps von Betroffenen“. Abrufbar unter:  https://junge-erwachsene-mit-krebs.de/jung-und-krebs/erste-hilfe/. Letzter Zugriff am: 26.06.2024.

Nina Somweber

Über Nina Somweber

Nina Somweber studierte Psychologie in Wien und in Erlangen und absolvierte eine Ausbildung zum systemisch-integrativen Coach zertifiziert nach ICF...

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