Lektine

Im Frühling 2018 erschien die deutsche Übersetzung des Bestsellers „Böses Gemüse. Wie gesunde Nahrungsmittel uns krank machen. Lektine – die versteckte Gefahr im Essen“ von US-Arzt Steven Gundry (Beltz Verlag). Der Mediziner vertritt darin die These, dass eine pflanzenbasierte Ernährung durch das Übermaß der darin befindlichen Lektine (Pflanzenschutzstoffe) zu Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems, Allergien, Asthma oder Krebs führen können. Da das Buch auch hierzulande große Wellen geschlagen hat, widmen wir uns in diesem Beitrag dem Thema Lektine, um Missverständnisse über dieses Eiweiß auszuräumen.

 

Wie alle Glycoproteine besitzt das Lektin die Eigenschaft der spezifischen und reversiblen Bindung an Kohlenhydrate. Diese Verbindungen enthalten mindestens zwei Bindungsstellen und können somit besonders gut andere Kohlenhydratstrukturen auf der Zelloberfläche binden. Die Struktur von Lektinen ist je nach Herkunft sehr unterschiedlich. Sie kommen in fast allen Organismen vor und können pflanzlicher, bakterieller, viraler, tierischer oder menschlicher Herkunft sein. In Pflanzen dienen Lektine unter anderem zur Abwehr von Mikroorganismen („Fressfeinde“). Auch die Eiweißspeicherung und der Kohlenhydrattransport funktionieren über Lektine.

 

Aufgrund ihrer starken Bioaktivität gehören einige Lektine zu den stärksten bekannten zytotoxischen Verbindungen. Beispiele sind das Ricin oder Mistellektine. Unerwünschte Wirkungen durch den Verzehr von Lektinen können Durchfall, Entzündung, Blutverklumpung und Erbrechen sein. Viele andere Lektine sind jedoch ungiftig und besitzen wichtige Funktionen in unserem Organismus. So regen etwa Lektine aus bestimmten Bohnenarten die Zellteilung von Lymphozyten an und unterstützen so unser Immunsystem. Auch die Erkennung von Mikroben durch das Immunsystem erfolgt über Lektine [1]–[3].

 

Lektine in Lebensmitteln

Im Rohzustand konsumiert wiederstehen Lektine der Verdauung im Magen-Darm-Trakt und erhalten ihre biologisch-aktive Form bis zum Eintritt in den Kreislauf. Allerdings sind die Eiweiße thermolabil, das bedeutet, Hitze zerstört ihre Struktur. Bohnen und andere Hülsenfrüchte, die große Mengen an Lektinen enthalten, sollten daher vor dem Verzehr möglichst lange gekocht werden. Andernfalls drohen Magenverstimmungen und Darmentzündungen. Zuckerschoten und Erbsen sind davon ausgenommen. Sie enthalten nur wenig Lektine und können laut DGE in kleinen Mengen auch roh verzehrt werden [4] [5]. Auch Getreide, Tomaten, Kartoffeln, Pilze und Bananen enthalten eine bedeutende Menge der Eiweiße, allerdings mit unterschiedlichen Wirkungen. Die meisten Lektine sind – in Maßen genossen – für den Menschen harmlos, ja durchaus positiv. Bananen-Lektine stehen beispielsweise im Verdacht, antivirale Eigenschaften zu besitzen. Ein Phänomen, das sich die HIV-Forschung zu Nutzen macht, indem sie nach Möglichkeiten sucht, ein lektinbasiertes Anti-HIV-Mikrobizid zu entwickeln [6].

 

Lektine in der Onkologie

Untersuchungen aus epidemiologischen Studien zeigen einen Zusammenhang zwischen dem erhöhten Verzehr pflanzlicher Nahrungsmittel und einem verringerten Risiko, an bestimmten Krebsarten zu erkranken. In Versuchen mit einigen Lektin-Arten konnte zudem Wachstum, Vermehrung und Apoptose (Zelltod) von Tumorzellen in vitro und in vivo durch Glycoproteine beeinflusst werden. In humanen Phase-III-Studien zur Wirkung von pflanzlichen Lektinen bei Krebspatienten zeigten sich ebenfalls positive Effekte. Lektine scheinen die Fähigkeit zu besitzen, den Zelltod zielgerichtet induzieren zu können.Die zugrunde liegenden Mechanismen sind hier jedoch noch nicht vollständig aufgeklärt [2] [7].

Darüber hinaus nutzt die Krebsforschung die klebenden Eigenschaften der Lektine auch für diagnostische Zwecke. Einige der Proteine gelten als Marker für die Erkennung von Tumorzellen und ermöglichen somit eine bessere Diagnose und Prognose von Tumoren [7].

 

Fazit

Die Gruppe der Lektine ist vielfältig, sowohl in Struktur als auch in ihrer Wirkung. Besonders Personen, deren Magen-Darm-Trakt angegriffen ist, reagieren empfindlich auf die Glycoproteine. Den besten Schutz vor möglichen negativen Auswirkungen der Lektine bietet neben dem Erhitzen bestimmter Lebensmittel eine abwechslungsreiche Ernährung, die eine Aufnahme schädlicher Substanzen in größeren Mengen verhindert. Ein vermehrter Verzehr unterschiedlicher Gemüsesorten trägt zudem zu einer hohen Aufnahme von Ballaststoffen bei und führt somit dazu, dass Giftstoffe vermehrt ausgeschieden werden und das Risiko für Zivilisationskrankheiten wie Diabetes und Übergewicht sinkt. Darüber hinaus beeinflussen Ballaststoffe die Zusammensetzung unserer Darmflora positiv und senken somit das Darmkrebsrisiko.

 

Quellen

[1] H. Heine, Lehrbuch der biologischen Medizin (4. Auflage). Haug, 2014.

[2] L. E. Estrada-Martínez et al., “Plant lectins as medical tools against digestive system cancers,” International Journal of Molecular Sciences, vol. 18, no. 7. Multidisciplinary Digital Publishing Institute (MDPI), 03-Jul-2017.

[3] X. Sánchez-Chino et al. “Nutrient and nonnutrient components of legumes, and its chemopreventive activity: A review,” Nutr. Cancer, vol. 67, no. 3, pp. 401–410, Apr. 2015.

[4] I. C. Keller, “Ein Hoch auf Hülsenfrüchte – Sie punkten mit Proteinen und Ballaststoffen,” DGE, vol. 7, 2016.

[5] Bundeszentrum für Ernährung (BZfE) “Hülsenfrüchte: Verbraucherschutz – BZfE.” [Online]. Available: https://www.bzfe.de/inhalt/huelsenfruechte-verbraucherschutz-4132.html.

[6] S. S. Singh et al. “Banana lectin: A brief review,” Molecules, vol. 19, no. 11. Multidisciplinary Digital Publishing Institute, pp. 18817–18827, 17-Nov-2014.

[7] P. Zarogoulidis et al., “Use of proteins as biomarkers and their role in carcinogenesis,” Journal of Cancer, vol. 6, no. 1. pp. 9–18, 2015.

 

Nina Maria Weber

Über Nina Maria Weber

Nina Maria Weber leitet gemeinsam mit Frau Kerschbaum die Beratungsstelle Ernährung und Krebs am Tumorzentrum München und beschäftigt sich viel mit dem Thema gesunder Genuss. ...

Kommentare

Lektine — 4 Kommentare

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  1. Hallo und guten Tag,

    wie sieht es denn mit der Einnahme von naturbelassenen, fein zermahlenen Heilpilzen aus. Sind diese bei längerer Einnahme schädliche?

    Vielen Dank schon mal für Ihre Antwort.

    • Zu den sogenannten Heilpilzen gibt es bisher leider nur wenige gut dokumentierte Studien mit an Krebs erkrankten Menschen. Laborversuche zeigen bei einzelnen Gruppen der „Heilpilze“ vielversprechende Hinweise darauf, dass Nebenwirkungen der Krebstherapie gelindert werden können. Es gibt einige – auch seriöse – gute Erfahrungen im Rahmen von individuellen Behandlungsversuchen. Am Tumorzentrum haben wir diese Erfahrung jedoch nicht, weshalb Sie sich für genauere Informationen an Ärzte oder Heilpraktiker wenden müssten, die sich mit Heilpilzen besser auskennen.

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